Beratung

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Arbeiten in Shanghai
S u. F. Demmer

Folgender Text spiegelt zusätzlich neben einigen Anregungen für Reisende und künftige Expats, einen kleinen Ausschnitt der Themen von Frieders Beratungstätigkeit hier in Shanghai wieder, bzw. gibt eine Ahnung der Ursachen, warum Beratung sinnvoll sein kann.

Shanghai ist eine gewaltige, international geprägte Metropole, in der es kaum Dinge, Versäumnisse, Erledigungen gibt, die man nicht irgendwie nachträglich regeln könnte.

Trotzdem bedeutet die Ankunft in Shanghai, sich in einen grundlegend fremden Kulturkreis zu begeben. Ein solcher Wechsel wird häufig von unbehaglichen Gefühlsschwankungen begleitet, die, so beunruhigend sie manchmal sein können, eine relativ einfache Ursache haben: So wie sich unser Körper akklimatisieren muss, muss sich auch unsere Psyche neu verorten, muss lernen, eine Vielzahl gänzlich neuer Informationen und Signale angemessen zu verarbeiten. Und so, wie wir in der Zeit der physischen Akklimatisierung anfälliger für Krankheiten sind, so dringt in der Zeit der psychischen Eingewöhnung manche sonst abgepufferte Empfindung plötzlich ungefiltert bis in unser Bewusstsein.

Die unbeliebtesten und zum Teil ungewohntesten Gefühle sind dabei Zweifel und Angst, die in einem einfachen Wunsch gipfeln: “Ich will heim, lass alles wieder so sein, wie es war.”

Bei Deutschen werden diese Gefühle in den ersten Wochen in aller Regel vorrangig im Zusammenhang mit abweichenden hygienischen Vorstellungen, einigen für unsere Augen überraschenden Varianten chinesischer Essenskultur (die Kultur sei allerdings betont!), dem irrwitzig erscheinenden Verkehr, anderen Wertorientierungen in der Arbeit und den stark eingeschränkten Verständigungsmöglichkeiten auftreten. Lassen Sie es dann noch an Ihrer Ankunft regnen und in Ihrer Wohnung fehlen wichtige Möbel sowie das Gas zum Kochen oder das Hotel entspricht nicht Ihren Erwartungen. Weil Sie diesen schlechten Erfahrungen noch keine Guten entgegen zu setzen haben, schlagen in der neuen, fremden Umgebung die Stimmungsnadeln dann schnell weit aus. Sind die ersten Eindrücke schlecht, erscheint das Land, die Umzugsentscheidung als Ganzes schlecht. Außerdem sind Sie durch die fehlenden Sprach- und Ortskenntnisse ersten Unnanehmlichkeiten scheinbar hilflos ausgeliefert: Sie können weder einfach einen Handwerker bestellen, noch unkompliziert in eines der zahllosen guten Restaurants gelangen.

Die zweite Grundbefindlichkeit bei der Ankunft ist da schon erfreulicher. Es ist die unmittelbare Begeisterung für diese pulsierende Stadt, für neue Erfahrungen und Erlebnisse, für die fortlaufende Erweiterung des eigenen Gesichtskreises, zusammenzufassen in dem Satz: ”Ich will mehr!” Imposante Bauten, flirrende Lichtspiele, das stimmungsvolle Panoptikum am Bund, scheinbar grenzenloses Shopping, ein echtes Universum an Essensmöglichkeiten, die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der meisten Chinesen.

Je nach persönlichem Temperament, bestehenden Vorerfahrungen und bestehender Unterstützung vor Ort werden Sie einen Wechsel der beschriebenen Gefühle in mehr oder minder ausgeprägten Wellenbewegungen erleben. Als Folge der dabei individuell unterschiedlichen “Frequenzen” wird es gerade bei Familien immer wieder Tage geben, an denen einzelne Familienmitglieder scheinbar ohne echten Anlass in schlechte Stimmung verfallen. Unvermittelt wird der Wunsch geäußert, sofort zurück nach Deutschland zu gehen. Dann gilt: Ruhe bewahren! Dieser Wunsch ist weit weg vom tatsächlichen Schritt. Auch in Deutschland zieht man ja z.B. wegen Regenwetter nicht sofort um. Wichtig ist aber, die auftretenden Gefühle, die Tatsache, dass es den Betroffenen schlecht geht, wirklich ernst zu nehmen. In der Erinnerung wird die Heimat schnell verklärt, rücken genau die Dinge ins Gedächtnis, die vor Ort gerade fehlen - meistens geht es um Geborgenheit, Entspannung, Unbeschwertheit. Für die allermeisten “Konsum”-Probleme finden sich leicht gute Lösungen vor Ort - da gibt sich Shanghai kaum Blößen. Ehrliche Zuwendung, offen miteinander reden, wiegt jedoch mehr als teure Fitness-Club-Stunden. Gewähren Sie sich, gerade wegen der bei einem beruflichen Auslandsaufenthalt beachtlichen äußeren Zwänge, ein Höchstmaß gegenseitiger Zuwendung.

Dem berufstätigen Familienmitglied sollte diesbezüglich bewusst sein, dass der vollzogene Schritt für die übrige Familie nicht einfach in das Motivationsmuster persönlicher Karriere und Entwicklung einzuordnen ist. Gerade die Kinder bedürfen besonderen Zuspruchs - für sie ergeben sich, das sei betont, die eindeutig weitreichendsten Folgen (die jedoch auch eine ganze Reihe einmaliger Chancen beinhalten). Die berufstätigen PartnerInnen sollten beachten, dass ihre PartnerInnen “zu Hause” - auch wenn es manchmal genau diesen Anschein hat - nicht in ein perfekt bereitetes Paradies kommen, sondern der Alltag in Shanghai wie immer im Ausland auch Tücken hat - und es fehlen dabei die Struktur und auch der Status, die man durch die Arbeit erhält. Die entscheidendsten Einschnitte sind aber die radikale Reduzierung unmittelbar ansprechbarer Vertrauenspersonen, bei den Kindern der Verlust der Freunde.

Die nicht berufstätigen Familienmitglieder sollten sich wiederum klar sein, dass die Anpassung an eine neue Geschäftskultur im Rahmen einer verantwortlichen Tätigkeit sehr an die Substanz gehen kann. Erfolgreiche Führungsmuster und bewährte Strategien versagen, Intuition, Kommunikations- und Verhandlungsmuster stoßen an die Grenzen komplett anderer Bezugssysteme. Wer - weil es gerade nicht läuft - tageweise solche Erfahrungen macht, kann durchaus auch mal unleidlich werden.

Lassen Sie sich von dieser Aufzählung aber nicht erschrecken. Sie soll nur verdeutlichen, dass wirklich alle Familienmitglieder für den Start in einer “neuen Welt” ein nicht zu unterschätzendes Maß an Rückhalt und Verständnis brauchen. Daher nochmal: Tauschen Sie Ihre unterschiedlichen Eindrücke und Erfahrungen möglichst ehrlich aus. Sie werden sich dabei manchmal vielleicht nur wenig gegenseitigen Zuspruch bieten können und auch akzeptieren müssen, wenn einem mal nicht nach Reden ist - und hin und wieder wird es auch krachen. Als Schritte eines gemeinsamen Lernprozesses bringt Sie jedoch jeder ehrliche Austausch und auch die klare Auseinandersetzung in der Eingewöhnung weiter als grummelnd Luftlöcher zu starren - und diese Fortschritte werden Sie unmittelbar spüren. 

Eine außerordentlich wichtige Entlastung sind Kontakte außerhalb der Familie. Da Verwandtschaft und Freundeskreis wie erwähnt fern sind, bieten sich hierfür in Shanghai zum Start insbesondere Vereinigungen, Clubs und Gemeinde an. Manche/r denkt: “Ich gehe doch nicht nach Shanghai, um zum Kaffee der Deutschen Gruppe oder zum deutschen Kino-Abend zu gehen.” Dieser Gedanke ist nicht ganz falsch. Aber, der vertraute Rahmen der Clubrunden hat schon vielen – inklusive mir - genau das Maß an Rückhalt gegeben, das nötig ist, um sich den vielen neuen Eindrücken unseres gewaltigen Gastlandes wirklich angemessen öffnen zu können.

In der Regel verlaufen die beschriebenen Gefühlsschwankungen deutlich wahrnehmbar, jedoch nicht dramatisch und pendeln sich allmählich auf ein für heimische Verhältnisse übliches Maß ein. Später kann es zwar immer wieder einmal Anlässe geben, die diese Spannungen aufleben lassen, doch dann werden Sie bereits über die schon angesprochenen, wichtigen positiven Ausgleichserfahrungen sowie über Bekannte, Freunde vor Ort sowie passende Entspannungs- und Rückzugsmöglichkeiten verfügen. Dann sind Sie wirklich angekommen in China, angekommen in Shanghai, angekommen in einer der reichsten Kulturen und einer der bewegtesten, vielfältigsten Städte der Welt.

Eine Ankunft, die sich sicher lohnt!

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching