Der Umzug nach Shanghai – ein “kritisches Lebensereignis”
Am letzten Coffee-Morning hatte ich das Vergnügen, mich und meine Angebote in Shanghai kurz persönlich vorstellen zu können und freue mich, dass
über den Postillion noch einmal schriftlich nachbearbeiten zu dürfen. Da einige der angesprochenen Themen recht komplex sind, wäre es schade, sie auf zwei Seiten zusammen zu schreiben. Daher gibt es in dieser
Ausgabe eine etwas ausführlichere Einführung und in den nächsten Postillionen eine kleine Serie zu dem oben genannten Thema. Da dies nach dem Vortrag angesprochen wurde, werde ich die Frage der Rückkehr nach
Deutschland gleich anschließen, bzw. wo sinnvoll möglich gleich mit einbeziehen. Den Anfang macht wie gesagt eine allgemeine Einführung zum Thema und zu meiner Person.
Seit Ende der sechziger Jahre gibt es einen wachsenden Zweig der Psychologie, der sich mit dem Phänomen beschäftigt, dass es Ereignisse gibt, die das Leben
eines Menschen – egal wie “reif” oder “psychisch gesund” dieser ist – grundlegend verändern können. Es wurde der Begriff “kritische Lebensereignisse” eingeführt.
Der Gedanke “traumatischer Ereignisse”, d.h. dass es – in der Regel furchtbare - Ereignisse gibt, die unsere Wahrnehmung der Welt nachhaltig verändern, ist
schon einer der Ausgangspunkte Freud’scher Theorien gewesen und damit psychologisches Urgestein. Neu am Konzept der kritischen Lebensereignisse war die Einsicht, dass Ereignisse für die Betroffenen außerordentlich
belastend sein können und zwar (fast) unabhängig davon, ob sie erwünscht oder unerwünscht eintreten, bzw. positiv oder negativ verlaufen. Die Belastung liegt allein in dem Maß an Veränderung, das kritische
Lebensereignis mit sich bringt und dem dadurch erzeugten Anpassungsdruck.
Ein gutes Beispiel für diese neue Denkrichtung des Ansatzes der kritischen Lebensereignisses ist die Hochzeit: obwohl sie in der Regel ein erwünschtes und
freudiges Ereignis ist, wird kaum jemand behaupten können, dass die Hochzeit als solche spurlos an ihm vorüber gegangen sei. Hochzeit ist immer auch Stress.
Wichtigste daran anschließende Erkenntnis der Life-Event-Forscher (und in Deutschland mit Frau Professor Filipp führend einer Forscherin) war, dass kritische
Lebensereignisse auf Grund der auftretenden Belastung eine deutliche Erhöhung gesundheitlicher Risiken, im psychischen wie im physischen Sinne mit sich bringen.
Dies war denn auch mein Einstieg ins Thema, denn ich habe die vergangenen Jahre als Diplom-Pädagoge Univ. mit Schwerpunkt Diagnostik und Beratung im Rahmen
der beruflichen Rehabilitation gearbeitet. Ich war Coach, Niederlassungsleiter und Projektmanager bei einem privaten Institut, dass im Auftrag der öffentlichen Hand und von Versicherungen Menschen unterstützt hat,
nach schwerer Erkrankung oder Unfällen neue Lebensentwürfe aufzubauen und umzusetzen. Auch dabei ging es um die Verarbeitung (massivst) kritischer Lebensereignisse und es zeigte sich, dass das auslösende Ereignis in
der Regel stets gefolgt wird von einer Kette mehr oder minder gravierender Folgeprobleme in unterschiedlichsten Lebensbereichen.
Als klar wurde, dass meine Frau nach Shanghai gehen könnte und wir dann beschlossen, dies auch zu tun, kam mir relativ bald der Gedanke, dass auch Menschen,
die in Shanghai leben, ja ein kritisches Lebensereignis durchlaufen (haben) und dass hier dementsprechend sehr ähnliche Folgeprobleme auftreten könnten. Erste Gespräche in Shanghai bestätigten das und so war die
Idee zu “Wendepunkte” geboren, die Idee zu einer deutschsprachigen, pädagogisch-psychologischen Beratung in Shanghai.
Zielgruppe sind deutschsprachige Familien und Einzelpersonen. Dabei gehe ich im Rahmen eines systemischen Ansatzes davon aus, dass wenn eine Person in einer
Familie ein Problem hat, dies in aller Regel auch an den übrigen Familienmitgliedern nicht spurlos vorüber geht, bzw. das Problem in aller Regel eng verknüpft ist mit den Lebensumständen, Regeln, Gewohnheiten der
gesamten Familie.
Meine Kernaufmerksamkeit gilt natürlich der Person, die sich an mich wendet, häufig wird es sich aber aber als höchst sinnig erweisen, früher oder später auch
andere Familienmitglieder hinzu zu ziehen. Das gilt nicht für das rein präventive Angebot LQM (Life Quality Management) - und auch ansonsten liegt die letzte Entscheidung darüber, wer beraten wird, natürlich
ausschließlich bei Ihnen und Ihrer Familie.
Da dieses gefragt wurde: In diesem systemischen Sinne arbeite ich auch gerne mit Kindern. D.h. wenn Sie meinen, Ihr Kind hat ein Problem, können wir das
gerne angehen, aber – das sei vorweg genommen - das Problem eines Kindes ist tatsächlich in aller Regel nicht zu ändern, ohne dass auch die Eltern etwas ändern. Dies betrifft insbesondere auch das Thema ADS/HKS –
die diesbezüglich bestehenden, ob ihrer Einfachheit immer mehr Aufwind bekommenden physiologischen Erklärungsmuster sind interessant, für sich genommen aber weder hinreichend noch ist die Frage der Ursächlichkeit
zufriedenstellend geklärt. Bisher gibt es nur Befunde, die eine Gleichzeitigkeit von Phänomenen feststellen.
Letztes zu nennendes – auf den ersten Blick sich etwas vom Thema entfernendes - Arbeitsfeld ist die Teamentwicklung. Gleichzeitig hat es doch mit dem Thema zu
tun, denn die Frage der Effizienz und Qualität des direkten Arbeitsumfeldes beeinflusst den Eingewöhnungsprozess natürlich nachhaltig. Diesbezüglich baue ich als praktischen Hintergrund auf meine eigene
verantwortliche Tätigkeit im Rahmen eines mittelständischen Startups, eben dem Aufbau des genanntem Bildungsinstitutes von 1 mit 5 auf zuletzt 16 Standorte mit 160 festen Mitarbeitern zzgl. einem Vielfachen an
Honorarkräften. Theoretisches Fundament ist neben dem Pädagogikstudium ein betriebswirschaftliches Postgraduiertenstudium an der FH Neu-Ulm in Kooperation mit dem Managementzentrum St. Gallen.
Soviel in der gebotenen Kürze zu meinen Qualifikationen und meiner Arbeitsweise – zurück zum Thema.
Alle, die dieses lesen, haben schon am eigenen Leib erfahren, dass der Umzug nach Shanghai nun wirklich grundlegend in aber auch alle Lebensbereiche eingreift
und werden wohl zustimmen, dass er damit ein “kritisches Lebensereignis” par excellence ist – und im Vorgriff sei schon gesagt, die Rückkehr nach Deutschland knüpft daran nahtlos an.
In verschiedenen Studien hat sich ein “idealtypischer” Verlauf der Eingewöhnung in ein grundlegend verändertes Umfeld gezeigt.
Direkt nach der Ankunft entwickelt sich relativ schnell ein kurzes “Endlich-da”-Hoch, das aber fast noch schneller von den zumeist eher schwierigen Realitäten
des ersten Alltags ein- und überholt wird: Reality bites... – die Wirklichkeit beißt zu und je nach Glück oder Unglück ziemlich heftig. Essen, Verkehr, Handwerker – mehr muss man da eigentlich gar nicht sagen. Gerne
wird auch der Ausdruck “Kultur-Schock” verwendet.
Unter dem Druck dieser ersten deutlichen Krise werden große Anstrengungen unternommen, die Situation zu verbessern – in der Regel mit dem Erfolg einer zweiten
Hochphase: “Es geht ja!”.
In der Literatur nur zum Teil ausdrücklich behandelt, schließt sich an dieses Eingewöhnungshoch leider manchmal eine weitere, klarer wahrnehmbare Krise an.
Vor dem Hintergrund der durch die Hochstimmung wieder gestärkten Abwehrkräfte tauchen (irgendwo so um den sechsten Monat herum) gerne alte, heimische, überwunden geglaubte Probleme wieder auf, die unsere Psyche
unter dem Druck der äußeren Ereignisse einfach nur “hinten angestellt hatte”: “Ooh – da war ja noch... .” Grundsätzlich bleibt diesbezüglich schon hier festzuhalten, dass sich fast kein zu Hause bestehendes Problem
durch einen Auslandsumzug löst, vielmehr eher neue hinzu kommen (Ausnahmen bestätigen die Regel).
Im Modell durch geglättete Mittelwerte als zwei große Ab- und wieder Aufschwünge dargestellt, spielt sich die Eingewöhnung im persönlichen Empfinden eher als
mehr oder minder ausgeprägte Folge teils sehr kurzzeitiger Schwankungen ab: Einen Tag geht es Ihnen ganz gut, am nächsten Tag – wenn der Partner mal wieder (n)irgendwo ist, Satellitenfernsehen ausfällt und man
vergessen hat Trinkwasser zu bestellen – überfällt einen wieder dieses: “Was mach ich hier eigentlich?” – Gefühl. Und “was mach ich hier eigentlich” ist tatsächlich eine der Kern-Fragen des ganzen Prozesses.
Speziell wir Deutschen mit unserem stark auf Ausgeglichenheit und Ruhe zielenden Persönlichkeitsideal tun uns mit der geschilderte Wechselhaftigkeit der
Eingewöhnung teils sehr schwer.
Kehrt Ruhe dann endlich ein, offenbart sich gemeiner Weise aber eine letzte Tücke: Die sich an die bis jetzt geschilderte, sehr wechselhaften Phasen
anschließende Abflachung der Ereignisse, das Einkehren von Routine und Normalität, ist zwar eigentlich normal und erwünscht, erscheint vor dem Hintergrund des Erlebten aber zunächst als wirklich erschreckend “flach”
und “langweilig”. Man spricht wegen dieses, die tatsächliche Problematik überhöhenden Gegensatzeffektes auch von posttraumatischen Krisen.
Diese Ernüchterung gilt es noch zu bewältigen und dann ist man da, endlich wirklich da. Je nach Naturell und äußeren Bedingungen ist das irgendwann 8-12
Monate nach der Ankunft. Und das ist schon eine sehr alte Erkenntnis, dass, um an einem Ort heimisch zu werden, man in der Regel einmal den Lauf der Jahreszeiten erlebt haben muss... .
Beratung macht in diesem Zusammenhang immer da Sinn, wo Sie den Eindruck haben, in einer Phase hängen zu bleiben, wenn einer der beschriebenen Zustände in
unangenehmer Art und Weise unverändert bestehen bleibt.
Grundsätzlich biete ich hier akute Kriseninterventionen, darüber hinausgehende Bewältigungsberatung sowie das eher als Selbsterfahrung und Auseinandersetzung
mit der eigenen Situation konzipierte Programm Life-Quality-Management an.
Soviel zur Einführung. Im nächsten Postillion geht es dann um ein erstes wichtiges Kapitel im Umgang mit Veränderungssituationen:
Kognition, Attribution, Reframing: Lernen, sich und seine Umwelt angemessen wahrzunehmen.
Für Rückfragen oder Terminvereinbarungen stehe ich unter der mail frdemmer@aol.com (der sicherste Kontaktweg, ich rufe dann zurück) aber natürlich auch telefonisch unter (0 21) 59 88 00 68 gerne zur Verfügung.
(Aktueller Kontakt: (Frieder Demmer, 07 31 - 977 38 33; frieder@demmer.info)
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