”Liang Zhu” – ”Butterfly Lovers”
Chinas ”Romeo und Julia” als modernes Tanztheater im Shanghai Grand Theatre. Ein Erlebnisbericht als kleiner Einblick in das kulturelle
Leben Shanghais.
Das Shanghai Grand Theatre
Für uns war “Butterfly Lovers” der erste Besuch im Shanghai Grand Theatre, jenem berühmten Bau am Renmin-Square, der zusammen mit dem Stadtentwicklungsmuseum
die eher ernüchternde Stadtverwaltung effektvoll einrahmt. Vorweg ein paar Eindrücke vom und Informationen zum Grand-Theatre selber.
1998 fertiggestellt, bietet Shanghais Musentempel Nummer 1 unter seinem spektakulären Dach drei Bühnen mit je 1800
(Lyric), 750 (Drama) und 300 Plätzen (Studio) - ein Drei-Sparten-Haus der internationalen Sonderklasse, das mit modernster Bühnetechnik Raum und Rahmen für wirklich
jegliche Art von Produktion bietet, den Schwerpunkt dabei selbst auf Tanz und Ballett legt.
Plätze reservieren und Karten erwerben kann man aktuell bei rund 15 anerkannten Agenturen und direkt im Theater. Dort
offenbart einem der Blick auf den aktuellen Buchungsplan, ob man sich evtl. noch etwas Zeit lassen kann. Gezahlt werden kann mit Karte und es wird (leidlich) Englisch gesprochen.
Bewährt hat sich erst im Theater anzurufen und nach aktuellen Preisen zu fragen, und dann zu schauen, ob man bei “Tauschern” vor dem Box-Office nicht noch ein privates
Schnäppchen machen kann. Beim Kauf im Office wird die Telefonnummer abgefragt, was bei Absagen hilfreich ist, da man dann – wie wir bei “Tristan & Yseult” erlebt haben - tatsächlich frühzeitig angerufen wird.
Die Frage nach Karten lohnt fast immer: Da das Grand Theatre für unsere Verhältnisse relativ günstig, für chinesische
aber exorbitant teuer ist, sind nur absolute Reißer (wie zuletzt “Les Miserables”) ausverkauft.
Wir leiten unsere Besuche gerne mit einem Essen im (im übrigen Maxim’s) Theater-Restaurant ein. Das mag versnobt
klingen, auf Grund der manchmal schwer kalkulierbaren Fahrtzeiten in dieser Stadt ist diese Essenszeit neben dem reinen Spaß aber auch schlicht ein beruhigender Puffer – so
haben wir in jedem Fall einen entspannten Auftakt.
Vom Restaurant geht es per Treppe und
einen kurzen Flur in die Theaterlobby. Die ist in ihren Ausmaßen und der lichten Gestaltung von innen gesehen noch beeindruckender als von außen, vor allem wenn man nach Einbruch der Dunkelheit
auf der zweiten oder dritten Ebene durch die vollverglaste, aber leicht gerasterte Front in die dann fast unwirklich scheinende Lichter-Szenerie des Peoples Square blickt – das ist ein Erlebnis für sich!
Interessant am Rande: Den farblich sehr Sensiblen mögen in dem sonst hochmodern-sachli ch gehaltenen Bau die roten
Täfelungen der Rückwände der Lobby und der klassisch rot-golden gehaltene Zuschauerraum überraschen. Mir wurde erzählt, dass dies wohl Gegenstand eines kurzen Kräftemessens zwischen Lokalpolitik und dem
Innenraumdesigner war: Es siegte rot... – aber mit chinesischem Kompromiss: Ein zwar rotes aber modernes, die übrigen Farben aufnehmendes Wandbild mildert den Bruch ab.
Jenseits aller Farbdiskussion ist der Zuschauerraum des großen Lyric Theatre außerordentlich funktional gestaltet.
Ausgehend von der (wer hätte etwas anderes erwartet...;-) weltweit größten Bühne ihrer Art sind Sicht und Akkustik überall gut bis hervorragend. Ein wenig Vorsicht ist nur beim
zweiten Rang geboten: Durch die wirklich sehr steil abfallenden Reihen und die niedrige Ballustrade sollte hier niemand mit Schwindel- oder Höhenproblemen reservieren – der muss wohl zum Platz getragen werden ;-).
Das Grand Theater kann man (bis 16:00 Uhr) auch besichtigen. Fortlaufende Informationen zu Kartenverkauf, Haus und Programm finden sich unter http://www.shgtheatre.com (dort den rechts unten zu findenden
Link auf die englische Version nutzen) oder im Direktzugriff http://shimg.163.com/djy/eng/bottom.html.
“Butterfly Lovers”, Hongkong Dance Company
“Butterfly Lovers” ist eine moderne Adaption eines rund 1500 Jahre alten chinesischen Liebesdramas namens “Liang Zhu”,
das in China eine für unsere Verhältnisse nur mit “Romeo und Julia” vergleichbare Popularität genießt. Grundsätzlich geht es um die auf Grund verschiedener sozialer Schranken in dieser
Welt unglückliche, aber dann durch ihre Kraft und Reinheit mit Unsterblichkeit geadelte Liebe zwischen einem vornehmen Mädchen und einem einfachen jungen Mann.
Der Stoff ist wie erwähnt in China sehr populär und so schon als Oper (Shanghai), als Violinkonzert (u.a. populäre
Aufnahmen von Vanessa Mae) und als Kino-Film verarbeitet worden. Für Interessierte hat die Buchexpertin der Deutschen Gruppe Ann München zudem eine englische Übersetzung recherchiert – die findet sich unten.
Der neueste Spross in dieser langen Reihe von Bearbeitungen erzählt folgende, den Bedürfnissen eines Tanztheaters angepasste Version der Geschichte:
Das Mädchen Zhu Yingtai studiert als Mann verkleidet in Hangzhou. Beim Laternenfest lernt sie den armen Studenten
Liang Shanbo kennen und verliebt sich in ihn. Beide werden Freunde, bezüglich Yingtais wahrer Identität ist Shanbo arglos (bis hierhin werden sich viele an Barbara Streisands “Yentl” erinnert fühlen).
Bei einem ausgelassenen Tanz im Regen wird Yingtai jedoch als Frau erkannt. Die beiden werden getrennt und Yingtai
verheiratet. Shanbo realisiert, wie sehr er Yingtai wirklich liebte und stirbt vor Kummer über den für ihn nicht zu ersetzenden Verlust. Yingtai wiederum bricht die Nachricht
über Shanbos Tod das Herz. Letztlich führt das Schicksal aber beide wieder zusammen: Als ewig gemeinsam durch Blumen tanzende Schmetterlinge.
Die “Butterfly Lovers” produzierende und darbietende “Hongkong Dance Company” wurde 1981 gegründet und 2001 als staatliche Non-Profit-Organisation neu
institutionalisiert, mit dem Ziel, chinesische Tanzkultur zu bewahren und weiter zu entwickeln. Diesem Ziel folgend ist “Butterfly Lovers” eine Reise durch – wie Choreograph Jiang
Huaxuan heraushebt – das ganze Kaleidoskop chinesischen Tanzes, chinesischer Kampfkünste, angereichert mit Ballett- und Modern Dance Elementen. Das klingt gewagt und brachte
auch stilistische Überraschungen, aber letztlich vor allen Dingen ein Tanzerlebnis von außerordentlicher Dichte und Reichtum.
Zu Beginn führten traditionell orientierte Gruppen, teils in bunten chinesischen Gewändern, stimmungsvoll in die
Handlung ein und bereiteten den Boden für den dann schlicht furios zu nennenden Einstand des kraushaarigen Bettelstudenten Liang Shanbo. Der 18-jährige Hauptdarsteller
Chen Jun eroberte die Bühne dabei mit solch federnder Energie und solch fließender Geschmeidigkeit, dass nicht wenige offenen Mundes die Szene verfolgten. Davon
ausgehend hatten seine ebenso jugendliche wie bezaubernde Partnerin Su Shu als Zhu und die hingebungsvoll agierenden Gruppen und Gaststars der “Butterfly Lovers” im fortlaufenden
Wechsel von Farben, Stilen und Tempi nur noch wenig Mühe, das Publikum tiefer und tiefer in den Bann des Dramas zu ziehen. Bei den zwei Pausenvorhängen ging jeweils ein Aufstöhnen des Bedauerns durch die Reihen.
Dramatischer Höhepunkt der Inszenierung war ohne Frage Liangs Tod. Nebel, Lichtblitze und riesige, wallend
herabstürzende Stoffbahnen ließen die Erde wahrlich “vor Schmerz zittern und alle lebenden Kreaturen ihr Leid klagen”. Die daran anschließende, sanft lyrische Umsetzung des unter
dem Eigenennamen “hua die” ein chinesisches Volksgut darstellenden Finales der Geschichte war der runde Abschluss eines beeindruckenden Abends: Aus der Stille erheben sich über einem ruhenden Nebelmeer zwei
leuchtende Schmetterlinge und getragen, unterstützt und geleitet von guten Geistern finden die Liebenden letztlich für immer zueinander.
Wiederholtes Raunen, Seufzen, Szenen- und der bleibende Schluss-Applaus durch das vorwiegend chinesische Publikum
(das auch fähig ist, durchaus beachtliche Leistungen mit einem nichtmals mehr höflich zu nennenden Sekundenapplaus zu quittieren) sprechen für sich. Für uns “Westler” war es
schlicht ein großes Erlebnis: Der 1500 Jahre alte Stoff war in diesem Rahmen alles andere als angestaubt.
Wer die “Butterfly Lovers” bei auf dem Spielplan entdecken sollte, dem sei wärmstens empfohlen, die Gelegenheit zu
nutzen – darüber hinaus entstand der Eindruck, dass die Hongkong Dance Company vermutlich generell einen Besuch lohnt. Viel Spaß!
Der Literaturhinweis:
Fan Dai:
The Butterfly Lovers
A tale of the Chinese Romeo and Juliet, 251 Seiten
Homa and Sekey books
ISBN: 0966542142
20.20 Euro (bei amazon)
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