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S u. F. Demmer
Shanghai Tagebuch
Juli 2003

Nimen Hao, liebe Freunde,

 

müde – sehr müde sind wir beide am Ende dieses zweiten Jahres in Shanghai, das förmlich an uns vorbei geflogen ist.

 Gleichzeitig war dieses Jahr wieder so voller Eindrücke, dass wir wieder teilweise ungläubig zurückblicken: „Stimmt, das war ja auch noch.“ – aber über all diese Dinge haben Rundbriefe schon berichtet ;-). Also ein Blick in die Zukunft:

 Und die heißt, wie schon erwähnt: Ein weiteres Jahr verlängert. Wir freuen uns auf dieses Jahr. Noch gibt es hier so viel zu entdecken.

Gleichzeitig bringt die Verlängerung aber eine der anstrengenderen Expat-Erfahrungen wieder ins Bewußtsein: Zwei gut befreundete Paare/Familien verlassen Schanghai leider schon diesen Sommer: Birgit und Kevin, die ihr auch auf unserer Homepage wiederholt findet , sowie Anne, Balasz, Benjamin und Fabian – auf einer derer berühmt berüchtigten Gulasch-Parties (Balasz ist Ungar) Frieder dereinst seinen jetzigen Firmenpartner Gabor traf, beide sitzen auf gepackten Koffern – um nicht zu sagen Containern... . Dieses Kommen und Gehen von Menschen mit denen man sich wohl fühlt, bleibt traurig und eigen.

 Für Frieder endet das Jahr trotzdem mit einem großen Meilenstein:

 Aus dem Projekt „HRObjective“, das ihn jetzt mehr als 16 Monate, anfangs lose dann bald in 7-Tage-Wochen beschäftigte, ist im Juni endgültig eine Firma mit eigenem Büro, Angestellten, Buchhaltung und – was fast das wichtigste ist – mit der Schenker (Spedition) Shanghai, dem ersten namhaften Kunden geworden. Das war schon eine echte Freude, auch verbunden mit einem gewissen Stolz. Anfragen von weiteren „Schwergewichten“, ein Workshop für die Außenhandelskammer, ein sehr erfolgreiches Demo-Training für das „Manager Cafe“ (einem chinesischen Management-Club in Shanghai) ermutigen weiter, aber es heißt weiterhin mit beiden Füßen auf dem Boden bleiben. Neben den vielen im bisherigen Verlauf schon gemachten Erfahrungen kommt mehr und mehr bewusst (und auch finanziell real) die Unternehmerperspektive mit dem damit verbundenen Risiko als neue und wichtige Erfahrung und Horizonterweiterung hinzu.

Wer dazu mehr wissen will, kann ja mal einen Blick auf www.hrobjective.de werfen – oder sich per Mail melden, um den Persönlichkeitstest „FiT In™“ selber zu testen. In Kürze wird auch die deutsche Version online verfügbar sein (bisher Chinesisch und Englisch). Also – wer eine echte Herausforderung sucht, probiert`s mal auf Chinesisch ;-).

 Für Sandra gab es zwei Meilensteine – zum einen, dass die Vertragsverlängerung wie erwähnt von Shanghai wie Deutschland aus problemlos klar ging, zum anderen den Abschied des bisherigen Schulleiters Herr Stanik, der nach Sharjha in den Vereinigten Arabischen Emiraten geht – dorthin also, wo wir dereinst unsere „Wir-können-nicht-nach-Bali-weil-da-ist-ja-schon-Shanghai-dru m-fahren-wir-zum-Airport-und-fliegen-nach-... ?... –Dubai!“-Ersatz-Flitterwochen verbrachten (und dort auch die endgültige Zusage für Shanghai bekamen!). Von Shanghai nach Sharjha. Beide Städte haben einiges gemeinsam. Beides sind absolute Boomtowns, weltoffene Hafenstädte mit dem Charme eingewobener, urasiatischer/-arabischer Überraschungen. Das Meer in Sharjha ist badewannenwarm, blau und klar um ein Vielfaches schöner als Shanghais dunkel bis sandgelb umplätscherte Betonküsten. Dafür aber ist in Araberland im Schnitt auch noch einmal alles fast 10 Grad wärmer und kurz nach der Stadtgrenze beginnt – die WÜSTE. Wir hätten diesen Schritt daher nicht zwingend gemacht, auf der anderen Seite gibt es sicher wesentlich hässlichere Orte, an die es einen verschlagen kann. Sharjha ist ohne Zweifel wirklich schick.

 Ach ja, beinahe schon vergessen: Wie ihr ja sicher schon mitbekommen habt, ist glücklicherweise große SARS-Entspannung angesagt. Glücklicherweise für uns, da es sich so doch wesentlich entspannter leben lässt, aber glücklicherweise auch für unser Gastland.

Die ersten Touristen kommen wieder, Geschäftsleute reisen wieder.... Dennoch wird es einige Zeit dauern, bis die Schäden, die nicht zuletzt auch der unglaubliche Medienrummel verursacht hat, behoben sind. Betroffen waren und sind natürlich die großen Firmen, aber eben auch und wie immer letztlich schlimmer, die „kleinen“, die armen Leute. Millionen von Wanderarbeitern, die sich beispielsweise in Gastronomie und Tourismus ein bisschen Geld verdienen, dass sie dann ihren Familien in den ärmeren Gebieten im Westen Chinas schicken. Für diese Menschen fielen – ohne jegliche soziale Absicherung – erbarmungslos alle Einnahmen aus. So bleibt sehr zu  hoffen, dass SARS wirklich „im Griff“ bleibt, und dass es keinen erneuten Ausbruch im Herbst gibt.

 

Wie gesagt, für uns ist aktuell erst einmal viel entspannteres Leben angesagt: Man bewegt sich wieder ohne Angst durch die Stadt, fährt wieder U-Bahn und Bus und ist nicht sofort beunruhigt, wenn neben dran jemand hustet, man is(s)t in Restaurants nicht mehr nur noch von Masken umgeben. Seit ein paar Wochen ist sogar endlich auch das Wassersportzentrum wieder geöffnet, und so dürfen wir wieder Drachenboot fahren – die Drachenbootweltmeisterschaften wurden China jedoch ebenso wie die Fußball-WM der Frauen entzogen – zumindest im Fall der für den September im niemals schwer betroffenen Shanghai angesetzten Drachenboot-WM ein sehr harter Schritt.

Vor zwei Wochen überschritten wir seit zwei Monaten erstmals wieder die Stadtgrenzen Shanghais (ohne Gefahr zu laufen, in eine Fieberkontrolle zu geraten und irgendwo auf dem Land in Quarantäne gesteckt zu werden), und zwar in Richtung des Wasserdorfes Tongli. In dem verwinkelt-heimeligen Innenhof eines wunderschönen, alten Herrschaftshauses feierten wir bei Laternenschein und vom buddhistischen Besitzer des Hofes rührend vorgetragener chinesischer Musik den Geburtstag einer früheren Kollegin Sandras: Mit 4 Westlern und 6 Chinesen eine sehr nette, interessante und gemütliche Runde. Abends wanderten wir durch absolut verlassene historischen Gassen, horchten in eine für uns mittlerweile schier unglaubliche ländliche Stille und beobachteten Glühwürmchen – die einige Chinesen noch nie gesehen hatten – ein wirklicher Aus-Flug.

Ganz stimmt das mit dem „ohne SARS“ übrigens doch nicht, denn auf dem Rückweg wurde doch tatsächlich der zweite Wagen unserer Freunde zur Fieberkontrolle rausgezogen – warum auch immer gerade dieser... .

 Ebenfalls sehr entspannt war die Hochzeit zweier Kollegen aus dem Kindergarten, obwohl sie sich auf das chinesische Standesamt wagten. Mehr dazu gibt`s auf der Homepage der Schule. Die anschließende Feier in der Noah-Rooftop-Bar mit Blick auf den Bund war schlicht und ergreifend wunderbar!

 Die Regenzeit ging dieses Jahr sehr gemäßigt an uns vorüber, obwohl natürlich schon ein paar Tage heiße Dampfluft ausreichen, um einen ziemlich müde zu machen. Nun ist die Luft wieder trockener (80 statt 100 %...), mit deutlich über 35 Grad aber dafür deutlich wärmer. Frieder ist mittlerweile ein echter (wirklich!!) Fan davon, klimatisierte Gebäuden mit dem Eindruck zu verlassen, man würde angezogen in ein Thermalbad steigen.

 Gegen Abend hält man es dann auf unserer Terrasse unter dem in den Pavillon eingespannten Moskitonetz (neue, schon von vielen Compound-Nachbarn erkundete Errungenschaft!!), mit oder ohne Grill wirklich gut aus – diese Szenen könnte auch aus jeder deutschen Appartmenthaussiedlung stammen ;-).

 Ach, eine Geschichte noch – ganz anders, aber irgendwie sehr schön:

 Frieder organisierte zuletzt für den Deutschen Club eine Führung zu Chinas wichtigstem Literaten Lu Xun. Dabei hatte er verschiedene Hindernisse zu meistern. 1. Der nach dem Schriftsteller benannte Park, der normaler Weise das ganze Spektrum chinesischer Freizeitkultur (alle möglichen Formen von Tanz und Tai Qi, gemeinsames Singen, entspanntes Schlafen) beherbergt,  war kurzerhand komplett von einer amerikanischen Dinosaurier-Show („Jurassic-World“) belegt.

2. Der Führer fiel kurzerhand aus, ein zweiter war schon verplant und ohne Führung würde das Lu Xun-Museum wenig hergeben. Was tun?

 

Lu Xun hatte eine ganze Weile in dem Gebiet rund um den nach ihm benannten Park gelebt. Also entschloss sich Frieder die Gegend zu Fuß zu erkunden, ob es nicht noch irgendetwas Sehenswertes aus der Jahrhundertwende bis zu den 30er-Jahren gäbe. Tatsächlich offenbarten sich ihm zwei Straßenzüge mit nur wildromantisch zu nennenden Wohnvierteln - genau aus dieser Epoche. Eine kleine Seiten-Gasse mit wuchernden Gärten gefiel ihm besonders.

Von der Reiseexpertin Sigrid Seel bekam er am nächsten Tag noch eine deutsche Übersetzung einiger Werke des Meisters. Beim Querlesen blieb er an einer Kurzgeschichte mit Titel „Herbstnacht“ hängen:

Lu Xun schreibt über die Stimmung in einem Innenhof, einen verwilderten Garten mit Palmen und blühenden Sträuchern, in dem der Himmel eigentümlich fern zu sein scheint – und sofort sah Frieder den Hof mit dem Garten vor sich: Es war die enge Gasse, die ihm so gefallen hatte – oder zumindest eine sehr ähnliche!

 

Wunderbar dachte er sich – genau da (unter anderem!) führe ich die Gruppe hin und lese diese Passage.

 

Der Tag kommt, die Gruppe erreicht die Gasse, Frieder will anfangen zu lesen aber eine Gruppenmitglied fragt: „Sollen wir nicht reingehen?“

„Wie reingehen?“

„Ja in das Haus?“

Und in diesem Moment wird Frieder gewahr, was ihm bei seinem Erkundungsgang tatsächlich völlig entgangen war: Nur zwei Türen entfernt von dem Garten, der ihm so lebhaft vor Augen getreten war, stand jenes Haus, in dem Lu Xun seine letzten Lebensjahre verbracht hatte – soviel zur sprachlichen Kraft eines wirklich großen Schriftstellers! Auch ein Erlebnis.

 

Unsere letzten Tage hier in diesem Sommer in Shanghai sehen da doch DEUTLICH profaner aus: Es gilt noch solche Herausforderungen zu bewältigen, wie salzbasierte Entfeuchter in sämtliche Schränke zu stellen und die Timerfunktion der Klimaanlagen so aufeinander abzustimmen, dass weder die Sicherungen durchbrennen, noch eine böse Schimmelüberraschung wie im letzten Sommer eine Chance hat.

 Dann, dann geht es los : für Sandra heute, für Frieder eine Woche später. Letzteres ist ein kleiner Nachteil von Frieders „Meilenstein“, aber natürlich sind wir froh, dass das Geschäft läuft. Einige von euch werden wir sehen, alle anderen grüßen wir auf diesem Weg wieder ganz, ganz herzlich.

 

Zaijian

 

Eure Sandra und Frieder

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching