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S u. F. Demmer
Shanghai Tagebuch
Mai 2002

Da jia hao,

die Zeiten sind ruhiger geworden und so vergrößern sich die Abstände zwischen den Rundbriefen. “Normalisierung” wäre wohl auch die beste Überschrift für die vergangenen Wochen – mit Ausnahme der Besuche aus Deutschland, die in jeder Hinsicht ein außergewöhnliches Ereignis darstellten.

Mit Bettina, Martin, Petra und Meikel aus Augsburg (bzw. Nürnberg), Sandras und Frieders Eltern aus Irsee und Bad Kreuznach sowie Manu und Wolfgang aus Ulm war für rund vier Wochen sehr viel in Bewegung - für alle Beteiligten. Wir speziell waren jedes Mal ungeheuer aufgeregt und es ist schon erstaunlich, was es ausmacht Familie und Freunde nach fast acht Monaten wieder “live” zu sehen, anstatt nur Mails auszutauschen. Das ist sehr anders und wir danken allen - und dabei insbesondere unseren Eltern - sehr, dass sie diese 10.000km-Reise auf sich genommen haben.

Die Besuche haben nebenbei eine nicht korrigierbare Veränderung gebracht: Es gibt jetzt eine ganze Gruppe unter den Rundbriefempfängern, die nicht mehr alles unbesehen “schlucken” müssen, was wir da so erzählen ;-).

Als Petra, Meikel, Bettina und Martin als unsere definitiv ersten Besucher (unsere Eltern weilten zu dieser Zeit noch in Peking) in Shanghai/Pudong ankamen, erlebten sie genau jenes Szenario, was gemeinhin als der klassische Fehlstart in einen Shanghai-Aufenthalt gehandelt und gefürchtet wird: Shanghai selbst versteckte sich hinter einer düster-grauen Nebel-Regenwand und umgeben von dieser trostlosen Nasskälte mussten wir den Ankömmlingen nach über 14 Stunden Reise zudem eröffnen, dass es kein heißes Wasser gäbe, punktgenau hatte der Boiler seinen Dienst aufgegeben.

OK, shit happens... , ein wenig zu denken gab uns dann aber doch, als sich knapp drei Wochen später bei Manu und Wolfgang genau das gleiche Arrangement wiederholte.

Warum das von einer Firma namens “German Pool” mit 10 Jahren Garantie angepriesene und bisher völlig zuverlässige Gerät plötzlich zweimal innerhalb eines Monats, jeweils ausgerechnet pünktlich zur Ankunft eines deutschen Besuches seinen Dienst quittierte, wird wohl ein unglöstes Rätsel chinesischen Alltagslebens bleiben... .

Aber alle trugen diese Hürde mit Würde - und vielleicht war es auch gut, dass so neben Taxichaos und kleineren chinesischen Tourismushürden ein weiterer kleiner Ausschnitt möglicher Tücken des hiesigen Lebens erfahrbar wurde. Insgesamt präsentierte sich Shanghai aber anschließend im wahrsten Sinne des Wortes von seinen Sonnenseiten.

Highlights der Besuchzeit waren ein noch von der Hochzeitstombola ausstehendes Frühstück inclusive Original Südtiroler-Schinken und Riesen-Nutella durch die Augsburger, Ostereierüberraschungen durch die Eltern, Ausflüge, “Shopping-Orgien” und zu guter letzt ein Abend-Essen zu Zehnt daheim, bei dem unsere Ayi (=chin.: Tante, Hilfe, Hilfskraft) Jiang Mei  (mit fleißiger Einkauf-, Fischputz-, Schnibbel- und Rührunterstützung von Frieder) mit 11 chinesischen Gerichten und dabei insbesondere zwei gleichermaßen bestechenden Varianten des frisch vom Markt geholten Edelfisches Gui-Yu schlicht über sich hinaus wuchs.

Auch ein Highlight war unsere erste Kreuzfahrt durch die Huangpu-Hafenanlagen. Die 8 ½-Kilometer messende Yangpu-Brücke, die Hochseewerften, ein majestätisches Kreuzfahrtschiff, Pudong-Skyline – wirklich beeindruckend, aber leider getrübt durch ein Schiffsunglück, bei dem ein Hochsee-Containerschiff ein Küstenschiff an der Kaimauer im wahrsten Sinne des Wortes zermalmte. Ein Seemann kam ums Leben – letztlich glimpflich, denn es dauerte nur Sekunden, bis von dem 30- bis 40-Meter-Schiff wirklich nichts mehr erkennbar war und häufig leben auf solchen Schiffen ganze Familien. Das verdeutlichte sehr nachhaltig, was es bedeuten kann, ein 200m-Schiff durch einen maximal 400m breiten Fluss zu steuern, auf dem von Binnenfrachtern bis zu Supertankern auf bis zu vier Linien alles unterwegs ist. Alle Hochseeschiffe haben zur Sicherung einen Schlepper am Heck – aber auch der konnte sich in diesem Fall nur noch verzweifelt quer stellen und so vielleicht zumindest verhindern, dass der Container-Riese nicht noch in einen angetäuten Tanker rauschte, denn knapp vor diesem kam er letztlich zum stehen - wer weiß was sonst noch gefolgt wäre. Im Stadtentwicklungsmuseum kann man die Pläne und Modelle des neuen Hochseehafens in der Yangtze-Mündung schon bewundern und der tut wohl wirklich Not.

Es gibt übrigens zwei Typen von Hafenrundfahrten: eine 1-stündige in irgendwelchen kleinen Barkassen und die große dreistündige in einem recht repräsentativen Drachenkopf-Katamaran – wir werden nach diesem Erlebnis definitiv nur noch letztere machen, weil dieses Schiff einfach groß und dabei aber noch wendig genug erscheint, um zumindest halbwegs sicher durch diese in ihrer völligen Durchmischung aller nur denkbaren Schiffsgrößen wirklich brodelnden Wasserstraße zu kommen.

Was wir so mitgkriegten waren es ansonsten vor allem die schiere Größe Shanghais und die Masse der Menschen verbunden mit der Vielfalt an Daseinsformen, die in unterschiedlichsten Erlebensvarianten die tiefsten Eindrücke bei allen Besuchern hinterließen.

Mehr wollen wir dazu gar nicht sagen, sondern vielmehr unserer Hoffnung Ausdruck verleihen, noch kleine schriftliche Echos von den “Betroffenen” selbst zu bekommen, was dann auf der Homepage zu finden und sicher für die interessant wäre, die ggf. noch kommen wollen. Denn uns ist schon aufgefallen, wie die Urlaubs-, gegenüber der Wohn-Perspektive manchmal einfach andere Eindrücke und Wahrnehmungen hervorbringt.

Aus dieser Wohn-Perspektive betrachtet geht es uns gerade blendend. Der Boiler läuft und heute haben wir auf der Terrasse einen kleinen Pavillon aufgestellt, der uns schöne Stunden in der aktuellen Wärme, respektive - irgendwann dann noch mit Moskito-Netzen ausgestattet – ungestörten Schatten in der demnächst anstehenden Hitze Shanghais bescheren soll. Aktuell springt das Wetter hier wie es auch in einem deutschen April nicht besser sein könnte – vielleicht auf gehobenem Temperaturniveau: von 12 Grad Regenwetter über 28 Grad Strahleperioden mit anschließenden Gewitterstürmen wieder zurück in das Regenwetter.

Bei aller “Normalität” gibt es auch immer wieder neue Entdeckungen und Eindrücke. Eine zweite Huangshan-Tour zusammen mit Manu und Wolfgang brachte uns in den Genuss traumhaft schöner Wolkenstimmungen. Im Tal umgeben von einer grauen Einheitssuppe überraschten uns am Gipfel strahlend blauer Himmel über einem weißen, von den bizarren Gipfeln durchbrochenen Wolkenmeer – tatsächlich noch einmal eine deutliche Steigerung zu unserem ersten Besuch.

Manu und Wolfgang mussten dabei allerdings die sehr ernüchternde Erfahrung machen, dass günstige Dormitory-Zimmer auf dem Gipfel neben Schimmel und wechselndem Fernseh- oder Kartenspiellärm vor allem eines mit sich bringen: Geschlechtertrennung! Da wir dieses Experiment von vorne herein gemieden hatten und in einem netten Standard-Double-Room weilten, waren beide jeweils mit ihren chinesischen MitbewohnerInnen allein – ohne Chinesischkenntnisse auch eine eigene Erfahrung, ebenso wie das (auch für uns “Luxuszimmerer”) rein chinesische Frühstück mit absolut geschmacksneutralem Wasser-Reis-Schleim, chinesischen Mixedpickles, Eiern, Erdnüssen und (zum Glück) einem kleinen Rührkuchenstück.

Dormitories und Frühstück zusammen lehrten wieder einmal, dass Individual-Reisen in China manchmal lästige Nebenwirkungen haben können.

Später in Tunxi (wo wir uns zum Abschluss für 15DM pro Person einen prima “Hotpot”=Chinafondue mit schwarzhäutigem Edelhuhn leisteten), kamen wir auf der sehenswerten “Alten Hauptstraße” noch unvermittelt per Touri-Interview ins Hongkong-Fernsehen und anschließend per Lokaljounalist in die Zeitung.

Auch in Shanghai erlebten wir eine Überraschung eher skurriler Art: Nach einem netten Essen schlenderten wir mit ein paar Freunden bei der Erkundung neuer Wege geradewegs in eine (ausgesprochen nette) Shanghaier Kneipe, genauer gesagt Schwulenkneipe, um nicht zu sagen wohl Schwulenstraße, womit an dieser Stelle die Frage geklärt wäre, wie die entsprechende Szene in Shanghai organisiert ist.

In der ersten Kneipe dieser Straße, die wir ansteuerten, waren wir – gemischt wie wir waren - offensichtlich sehr unwillkommen, wobei wir den Grund noch nicht ganz überrissen, wohl aber zur Kenntnis nahmen, nur Männer zu sehen. In der zweiten, wie gesagt recht heimeligen, Lokalität hatte man dagegen kein Problem mit uns und wir wiederum dann schnell raus, was wirklich angesagt war.

Gut, taktisch unklug war dann vielleicht, dass ausgerechnet die weiblichen Teile unserer Gruppe die (überraschender Weise existierende) Damentoilette und den halben Gastraum erfolgreich unter Wasser setzten... . Allerdings zeugten gleich zwei neben der Toilette stehende Stampfer davon, dass sie nicht die ersten waren, denen dies widerfuhr und die Reaktionen waren dementsprechend gelassen. Trotzdem: der ein oder andere im Gastraum mag sich gedacht haben: “Ich weiß schon warum... .” ;-).

Der anschließende Blick in die nahegelegene, recht bekannte Disco “Judy’s Too” war insofern ernüchternd, als dass sich hier vorrangig mehr oder minder übergewichtige Westler in den vermeintlich “besten Jahren” sowie asiatische Grazien deutlich jüngeren Produktionsdatums gegenüber standen, was eine - wenn man weder das eine noch das andere ist (Anm. d. Red.: Frieder hat abgenommen und ist gar nicht so alt wie er manchmal aussieht :-)) - eher deprimierende Stimmung erzeugt.

Grundsätzlich eröffnet sich uns aber mehr und mehr das hiesige Universum an bezahlbaren (und ansonsten völlig normalen) Bars und Restaurants, was ein deutliches Plus an Lebensqualität bedeutet. In solchen Orten kommt man inklusive Getränke mit 5-10 Euro pro Person aus. Und selbst 20 Euro pro Person für definitiv uneingeschränktes All-You-Can-Eat inklusive Getränke beim (guten) Japaner oder Brazilian Barbecue sind vergleichsweise wirklich Schnäppchen. Die 100 Euro (p.P.) und mehr beim Essen oder 5 EU aufwärts für das Bier der Edel-Lokalitäten kann man so guten Gewissens für Hochzeitstage aufsparen... .

Ein völlig anderes Thema ist die Krise des Deutschen Fußballs: Nicht nur dass die Nationalelf 1:0 gegen Argentinien verloren hat. Nein, überraschender Weise musste auch das hiesige Deutsche Expat-Team gegen den englischen Wiederpart eine empfindliche 4:2-Niederlage hinnehmen und Frieder ging parallel mit den dänischen Vikings gegen die Italiener bei strömendem Regen gar mit 5:1 unter (hatte aber Spaß)! Trotzdem: Da ist offensichtlich Not am Mann!

Sonst gibt es sportlich zu vermelden, dass die “Shanghai Sharks” nach 53 Anläufen in einem dramatischen Finale endlich Chinesischer Basketballmeister geworden sind und die Offiziellen schon jetzt angekündigt haben, dass nach diesem Titel 2,28m-Center-Star Yao Ming wohl endlich, als zweiter Chinese, seine NBA-Freigabe erhalten wird. Wenn man endlich sagt, bezieht sich sich das auf die wohl schon länger bestehenden Anfragen aus den USA, ansonsten ist Yao Ming gerade +- 21 Lenze jung und hat so noch reichlich Perspektiven.

Auf der Hompage wird Sandra noch über die Projektwoche bei ihr an der Schule berichten, bei der es für sie um chinesische Musik incl. Peking-Oper ging – ein schönes Thema und eine wirklich spannende Woche. Im Sommer bekommt sie vermutlich ihren ersten Praktikanten zur Betreuung. Ansonsten kämpft die Deutsche Schule mit der Realisierung der Oberstufe und andauernden Unbilden um mehr oder minder existierende Sportanlagen.

Frieder berät weiter Expatfamilien und hat zudem eine indische Deutsch-Nachhilfeschülerin betreut, mutierte im Zuge dessen sogar kurzerhand zum “IB”(=International-Bacchelor, eine sehr begehrte, weil 12-jährige Art internationalen Abiturs)-Prüfer für “self-tought” German. War interessant, insbesondere das Umfeld der wohlhabenden indischen Familie und verschiedene Gespräche darüber.

Zudem hat er im Vorstand der Deutschen Gruppe das für ihn extra geschaffene Ressort “Kultur und Soziales” übernommen – schau mer mal wie sich das entwickelt, macht Spass.

Wie schon g’sagt – uns geht es gerade recht gut und wir hoffen, dass es möglichst vielen von Euch genau so geht,

Zaijian

Sandra und Frieder

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching