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S u. F. Demmer
Shanghai Tagebuch
Oktober 2001

Fortbewegung und Mobilität spielen in einer Stadt von der Größe Shanghais natürlich eine große Rolle: Auf zu neuen Ufern! Shanghai verfügt über das mutmaßlich bestausgebaute Straßen- und Schnellstraßensystem Chinas und die massiven Bautätigkeiten sind noch nicht annähernd am Ende. Immer wieder werden ganze Häuserzüge geschliffen und ersetzt, alte Straßen aufgerissen, verbreitert, befestigt und überhaupt alles gemacht, was man so alles in einer Stadt machen könnte. Vorzeige-Projekt (natürlich neben dem Transrapid!) ist aktuell ein achtspuriger Tunnel unter dem Huangpu-Fluß, das, wie es heißt, ehrgeizigste Tunnelprojekt der Welt. Was solcherlei Bauaktivität für den Alltagsverkehr bedeutet, kann sich jeder vorstellen.

Allerdings - Hauptverkehrsstopper sind nicht Baustellen sondern Unfälle. Da teilweise auch kleinste Blechschäden ausgiebig mitten auf dem Highway diskutiert werden und die Rekrutieruing der Polizei gesetzlich vorgeschrieben ist, kann es durchaus passieren, dass wegen einer Bagatelle der Verkehr auf einer Hauptverkehrsader zwischenzeitlich vollständig zum Erliegen kommt.

Zurück zum Bauen: Absolut bemerkenswert ist die Geschwindigkeit, mit der große Projekte angegangen und verwirklicht werden. Ein mächtiger Highway durch die halbe Stadt wird in einem guten Jahr aus dem Boden gestampft - an die Autobahnbrücke von Leipheim darf ich da gar nicht denken... .

Getrieben von einer faszinierenden Dynamik bietet Shanghai mittlerweile seinen Gästen und Bewohnern die ganze Breite von Fortbewegungsmöglichkeiten - allerdings mit sehr unterschiedlicher Attraktivität.

So waren wir nach unserer ersten Fahrt in einem öffentlichen Stadt-Bus nicht ganz sicher, was uns mehr abverlangt hatte: die über einstündige Fahrtzeit, der Höllenlärm des mäßig gedämpften Motors in Verbindung mit klappernden, schlagenden Türen oder die diversen Abgase, die durch den Inneraum waberten und bei denen nicht zu klären war, ob sich der Bus diese nicht irgendwo fortlaufend selber injezierte. So ähnlich wie wir beim Aussteigen müssen sich die Herren von Led Zepplin gefühlt haben, als sie “Dazed and Confused” geschrieben haben - hatte nicht irgend jemand erzählt, es gäbe hier Sauerstofftankstellen... .

Am Ende stand die Erkenntnis, dass eine solche Fahrt im unklimatisierten Bus oder Minibus nur 1 RMB (25 Pfennig) kostet - leider aber auch nicht mehr wert ist. Man kommt zwar irgendwann an sein Ziel und der unsrige Bus war gar nicht mal außerordentlich überfüllt, was nämlich die Regel ist, aber schön ist trotzdem anders. Für kürzere Strecken ist so ein 25-Pfennig Trip - der auch nicht immer mit Gasalarm verbunden ist ;-) - allerdings trotzdem die bevorzugte Alternative der Shanghainesen. Es gibt fast keine Straße, durch die nicht regelmäßig ein Bus kommt. Zudem dürfen wir nicht die 2-5 RMB Klasse der klimatisierten Busse vergessen, von denen manche westlichen Stadtbuskomfort bietet. Einen skurrilen Spass stellt eine Handvoll altgedienter Doppeldeckerbusse mit offenem, bzw, planengedecktem oberen Deck dar - und es glaube keiner die fahren nur bei Sonnenschein auf Touristenlinien... . Überhaupt ist Shanghai sicher ein absolutes Paradies für Bus-Fans - ich hatte aber auch nicht den Hauch einer Ahnung, wieviel unterschiedliche (fahrfähige) Formen dieses doch so profanen Gefährtes es tatsächlich gibt.

Trotzdem ist die moderne (Siemens/Adtrans)-U-Bahn für auch nur 3-5 RMB (es gibt neben den Einzelfahrscheinen ein 50 RMB-Wertkartensystem sowie eine beliebig aufbuchbare Magnetkarte!) schon eine ganz andere Klasse urbaner Fortbewegung. Die Stationen sind sauber, großzügig und in Boomtown-Pudong auch künstlerisch gestaltet. Gewöhnungsbedürftig sind die zum Teil labyrinthhaften, U-Basaren gleichenden Zuführungen.

Einzelfahrscheine und Wertkarten gibt es an Automaten. Und diese Automaten führen mit ihren gerade vier - selbst mit chinesischer Beschriftung - aber auch absolut eindeutigen Wahltasten die Münchner und Berliner Verkehrsverbünde mit ihren: “Wir hätten da aber auch noch den “Drei-Personen-mit-vierbeinigem-Haustie r-bevor-die Sonne-wirklich-im-Zenith-ist-Tarif-drücken -Sie-bitte-folgende-Tastenfolge”-Monstern, die nur von ehemaligen Senso-Meistern zu beherrschen sind, wirklich peinlichst vor. Fehlt das Kleingeld bietet die U-Bahn Shanghai auch Schalter und fehlen Kleingeld und Schalter gibt es Wechselautomaten.

Die Chinesischen Ein- und Aussteige-Manieren sind durchaus fragwürdig aber auch lange nicht dermaßen dramatisch, wie es der ein oder andere Führer in seinen Schilderungen suggeriert. Man kann auch als Westeuropäer eine solche Fahrt unbesorgt antreten - in München zur Rushour lässt einem auch selten jemand höflich den Vortritt.

Der eindeutige Haken an der Shanghaier U-Bahn: es gibt nur zwei Linien, wenn man die S-Bahn berücksichtig drei.

Also bleibt als Hauptverkehrsmittel das Taxi. Taxi heißt wie “Auto” überhaupt zu ziemlich genau 50%: VW Santana. Vereinzelt findet man den chinesischen Audi 100-Nachbau und gaanz, ganz selten sogar nagelneue VW Passat. Insgesamt kommt man so halbwegs komfortabel voran und das zigtausend mal (aktuell 250.000 Fahrer und wohl 50.000 Fahrzeuge). Gut was den Komfort betrifft, so sollten einen abgewetzte Innenausstattungen, knarzende Radlager oder rubbelnde Bremsen nicht schrecken. Hauptsache man hat Platz und relativ viel stabiles Blech um sich rum. Die höchste Taxi-Hürde in Shanghai ist daher eindeutig, dass die wenigsten Taxifahrer Englisch sprechen und wohl keiner wirklich alle Gassen Shanghais kennt. Die Sprache im Taxi heißt “Namecard”=”Visitenkarte”, vorzugsweise mit chinesischer Wegbeschreibung auf der Rückseite. Ist diese Beschreibung mehrdeutig wird der Fahrer seine Zentrale anrufen. Es kann durchaus vorkommen, dass der Chauffeur so die ein oder andere Minute vor der Abfahrt mit Routensuche beschäftigt ist. Aber lieber so, als wahllos durch die Pampa gefahren zu werden - was man als Neuling kaum mitkriegen würde. Ungewöhnlich Ziele sollte man ohne Orientierungshilfsmittel (Minimum ein Stadtplan mit chinesischer Beschriftung auf dem man das Ziel zeigen kann) vor diesem Hintergrund erst gar nicht probieren anzusteuern.

Es folgt dementsprechend eine absolute Shanghai-Basic-Lebensregel: Wo immer es Dir gefällt, nimm eine Namecard mit, im Zweifelsfall, falls es z.B. um einen Park geht, einfach das nächstgelegene Lokal ansteuern - vielleicht kommt man ja wirklich auch mal zum Essen... Namecards liegen in der Regel an der Kasse bereit und werden gerne ausgehändigt. Nur so ist sicher gestellt, den Ort irgendwann wieder einmal erreichen zu können.

Insgesamt muss man mehr als eine Lanze für Shanghais Taxifahrer brechen. Einzig offensichtliche Untugend ist bei einigen eine Fahrweise, die einen stets aufs Neue auf die beunruhigende Erkenntnis zurückwirft, dass es hinten keine Gurte gibt. Vor- und Nachteile der Anarchie ließen sich am Shanghaier Taxi-Verkehr höchst erfolgreich empirisch belegen. Um es kurz zu fassen: Natürlich spart es Zeit wenn der Taxifahrer auf dem Highway umdreht, um doch noch die richtige Abfahrt zu erwischen - andererseits nur, wenn man es überlebt... .

Trotz dieser durchaus auf den gesamten Verkehr verallgemeinerbaren Verhältnisse ist sogar das Fahrrad als Forbewegungsmittel in Shanghai absolut nicht zu unterschätzen.

Das Chinesische Standardrad ist eine Art Hollandrad mit origineller und chronisch anfälliger Felgenbremstechnik, die die Shanghainesen mit ausgefeilten Abspruntechniken kontern. Im neuen Zustand ist so ein Rad ein absolutes Schmuckstück aus Chrom und Hochglanzlack und kostet dabei 75 DM !  - allerdings unmittelbar nach dem Kauf einsetzenden Rost inbegriffen. Der Fairniss halber sollte man erwähnen, dass die hiesigen Klimaverhältnisse vermutlich den Rost erfunden haben und das die Räder im Gegenzug auch noch fahren, wenn Rost zum tragenden Material geworden ist. Der üblicher Weise fest installierte Lenkerkorb und ein wirklich massiver Gepäckträger erlauben den problemlosen Transport des Tageseinkaufs zuzüglich eines Fahrgastes (nicht wenige Chinesen haben ein Polster auf dem Gepäckträger oder einen zweiten Sattel auf der Mittelstange). Das Mitnehmen auf dem Rad ist so selbstverständlich, dass unter der Fahrt auf- und abgesprungen wird.

Tatsächlich mögen auch wir - trotz mangelnder entsprechender Fähigkeiten - unsere Räder hier sehr (Sandra fährt übrigens “The next Generation”, genannt: “Modern Bike”, mit Alufelgen und in Blau gehalten). Alle großen Straßen verfügen über Radwege mit zum Teil Straßenspurbreite, manche Straßen werden völlig von Zweirädern beherrscht. Die Luft und im Sommer die Hitze sind sicher Erschwernisse, aber wir sind in China und China fährt Rad.

Eine zweite wichtige Shanghai-Regel unter den angedeuteten Bedingungen heißt aber: AUGEN AUF!!

Nicht jeder Kanal ist vorschriftsmäßig abgedeckt und Ampelphasen, Vorfahrtsregeln etc. haben in Shanghai nur Vorschlagscharakter (ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Bremsproblem...). Die Hierarchiefolge heißt: Masse machts aber Frechheit siegt. Ein LKW ist mehr als ein Auto, ein Auto mehr als ein Zweirad - Zweiräder und Zweifüßer einigen sich in der Regel gütlich und können in Gruppen dann wieder die Hierarchie von unten aufrollen: ist eine ausreichende “LangZweiler”-Masse mal in Bewegung, geht auch an einer großen Kreuzung für Autos durchaus mal gar nichts mehr. An absoluten Brennpunkten versehen daher Polizisten, von etlichen betrillerpfeiften Zivillotsen unterstützt, einen angesichts des unglaublichen Gewirrs und Lärms absolut beachtlich Dienst. Neben den “Dschungelprinzipien” bestimmt jedoch eben die “Augen-auf-Regel” den Verkehr - es wird tatsächlich geschaut und man hat bei entsprechendem Timing und Augenkontakt eine relle Chance, dass selbst auf einer “Bundesstrasse” für einen queerenden Radfahrer ohne allzu großes Murren Gas weggenommen wird. Ein weiteres, angesichts wirklich massiver Kämpfe um jeden Milimeter selbst im stehenden Verkehr, zunächst überraschendes Phänomen : Obwohl auch in China “Rechts vor Links” gilt, wird an Großkreuzungen Linksabbiegern in der Regel der Vortritt gelassen. Der sehr pragmatische Hintergrund: Linksabbiegen wäre ansonsten gar nicht möglich.

Zwei Verkehrsmittel haben wir noch vergessen. Zum einen die (Fahrrad-)Riksha und alle Arten motorisierter Zweiräder.

Die Riksha, das Urklischee asiatischer Fortbewegung in Europa spielt in Shanghai für den Personentransport selber keine Rolle mehr. In einigen wichtigen touristischen Orten in der Umgebung ist sie jedoch noch zu finden, dann aber verhältnismäßig teuer. Mal ein Spass aber keine echte Alternative.

Unangefochten im Einsatz ist jedoch das Lastenfahrad, das große Teile aller innerstädtischen Transporte regelt. Zum einen gibt es einfach etwas stabiler gebaute Fahrräder mit massiven Sattelkästen/-tonnen (und ich meine wirklich Tonnen), die einem – wenn nur an einer Seite beladen – zum Teil in absolut unwirklicher Schräglage entgegenkommen, zum anderen aber auch echte Lastendreiräder mit Pritschen, auf die zwei bis drei Meter hoch aufgeladen wird: Bei EINEM Fahrer. Manchmal sieht man jedoch auch ein Pritschenrad und ein bis zwei zusätzliche Fahrräder, die einfach ziehen helfen.

Mofa, Roller und Motorräder sind unter den gegebenen Bedingungen mit die sinnigsten Fortbewegungsmittel und vermehren sich dementsprechend enorm. Ein kleiner Roller kostet 500 DM und für 1000 DM gibt es schon richtig nette Geräte. Will ich mich über Land bewegen kommen aber bis zu 4000 DM Führerschein und Lizenzgebühren hinzu... – mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt. Klein, wendig und doch ausreichend schnell um auch einmal eine grössere Strecke zu überwinden, sind “motor-che” leider jedoch auch höchst unfallträchtig. In einer Stadt in der man sich nur sehr wenig auf den Kurs der Vorder- und Seitenleute verlassen kann, endet so mancher flotter Zweiradschlenker in der Seite eines Autos. Wer immer also diesen Weg wählt, sollte das ganze sehr behutsam angehen.

Zunehmend Verbreitung finden Fahrräder mit Elektrohilfsmotor - und angesichts des Gestanks und Lärms in vielen Straßen kann man sich eine Fortsetzung dieses Erfolges nur wünschen.

Für alle hiesigen Zweiräder, ob nun mit oder ohne, Elektro oder Benzin-Motor finden sich wirklich alle paar Meter günstige Werkstätten (Reifen flicken 25 Pfennig). Auch Autos aus chinesischer Produktion werden annähernd überall problemlos repariert. Motoräder wie auch Autos können mit einem gültigen Internationalen Führerschein ausgeliehen werden. Will man vergleichbare Fortbewegungsmittel käuflich erwerben, steht ein chinesicher Führerschein an, was jedoch keine große Hürde darstellen soll und eines unserer nächsten Ziele ist. Kaufen werden wir trotzdem nichts – denn dass dürfen bisher für Ausländer nur Firmen und die DSS hält sich da bisher bedeckt. Zudem, wenn man Pech hat, dauert allein die Anmeldung ein halbes Jahr - und das lohnt nicht. Letztlich kommt man in Shanghai auch ohne Auto ziemlich gut an annähernd jeden Ort - nur Zeit und Komfort können eben in der für diese Stadt so typischen Spanne ein wenig variieren.

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Frieder Demmer: China-Beratung, Training, Coaching