Eispisten –
Yabuli, Chinas größtes Skiresort
Wir sitzen zum Aufwärmen in der spartanisch eingerichteten Talstation. Die Tür geht auf, herein kommen die Athleten der alpinen
Nationalmannschaft Chinas. Das ist ihr Rhythmus: Eine Abfahrt, dann heißt es schon wieder aufwärmen. Die Nationalmannschaft trainiert auf den Touristenpisten, während das Provinzteam von
Heilongjiang den Wettkampfhügel besetzt hält, auf dem in einer Woche die Nationalspiele über die Bühne gehen werden. Verkehrte Welt? In Chinas Sportwesen, in dem die Provinzteams mehr Macht und
Geld als die Nationalmannschaften haben, ist dies Alltag. Der Wettbewerb ist unerbittlich und wird nicht immer mit fairen Mitteln ausgetragen. Zu verheiĂźungsvoll die Aussicht ins Ausland reisen zu
dürfen und vielleicht einmal ein „Held der Nation“ zu werden.
Am Tag zuvor hatten wir die Asienmeisterin im Langlauf getroffen. Warum China keine Langlaufnation sei? Sie haben nur vier Monate Schnee und
in diesen vier Monaten ist es so kalt, dass kein Mensch gescheit trainieren könne – deshalb. Erst bei Minus 10-15 Grad finge es überhaupt an zu schneien. Sie ist 31, eigentlich ein gutes Alter
für eine Langläuferin, aber zu alt für das chinesische System. Ihre Zeit ist vorbei. Aber immerhin war sie einmal bei Olympia. Jetzt will sie einen Beruf lernen. Sie sagt dies alles sehr ruhig und
zurückhaltend – Bescheidenheit, die höchste chinesische Tugend – zumindest im privaten Rahmen... .
Noch ist China keine Skifahrnation, aber auch hier erwacht der Riese. Allein in der Umgebung von Peking wurden in diesem Jahr sechs Skiresorts
eröffnet.
Wir aber waren in Yabuli, nördlich von Wladiwostok, wo sibirische Winde einem buchstäblich die Augenlieder zufrieren lassen und die 25
Minuten im halboffenen Sessellift zu einer besonderen Form der Selbstmarterung werden. Noch nie in meinem Leben habe ich eine Gesichtsmaske getragen – hier habe ich genau einen halben Tag ohne
ausgehalten.
Schnee gibt es allgemein wenig, so dass Steilstücke schnell vereisen. Um die Bedingungen erträglich zu halten schaufeln Helfer Tag ein Tag
aus über Holzrutschen Schnee aus den umgebenden Wäldern in die Piste – in China günstiger als Schneekanonen zu betreiben. Ein Pistenbully verteilt die Früchte dieser Arbeit – was ohne
Ankündigung oder Warnung geschieht: Plötzlich liegt ein Haufen Schnee im Weg oder kommt einem ein Schneemobil auf der Piste entgegen... .
Fünf große Pisten kommen den Berg hinunter, eine blaue, alle anderen nach unseren Maßstäben im roten bis schwarzen Bereich, eine davon
unpräpariert als Ski-Route – was hier manchen Anfänger im wahrsten Sinne des Wortes hart aufschlagen lässt. Dass Chinesen überhaupt Skifahren lernen ist jenem Mut der Verzweiflung zu zu
schreiben, mit dem sie auch nach dem 20. Sturz mit verrenkter Schulter und gestauchter Hand immer noch nach oben fahren – „ertragen können“ ist eine zweite der klassischen chinesischen
Tugenden.
Nach kurzer Enttäuschung über die eisige Liftfahrt und die harten Pisten haben wir letztlich drei schöne Ski-Tage unter strahlend blauem
Himmel verbracht – das gilt noch mal mehr, nachdem wir erfahren haben, wie es zur gleichen Zeit in den Alpen aussah.
Weiterhin haben wir nette Leute aus Peking, Hongkong und Hangzhou getroffen und mit diesen gemeinsam des Abends in einem traditionellen
Restaurant dieser Gegend im Schneidersitz auf einem flachen Ofen sitzend würzig gebratenes Lamm, dampfende Gemüse und Kartoffeln mit kräftiger Sauce genossen. Überhall hingen getrockneter Mais
und Paprika. Vor der Tür lag der obligatorische Haufen Kohlen. Das Haus war schmucklos, Äußerlichkeiten zählen hier wenig, die Siedlungen sind durchaus geeignet so etwas wie Depression hervor zu
rufen und die Bewohner Heilongjiangs gelten als mĂĽrrisch direkt. Aber das ist der sibirische Wind ja auch. Wir hatten eine gute Zeit.
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